Jeden Tag schreitet die medizintechnische Forschung ein Stück weiter voran, doch die meisten von uns bekommen von diesen Fortschritten oft gar nichts mit. Wie viele von uns verbringen schließlich Zeit damit, die neuesten wissenschaftlichen Artikel zu lesen und – vor allem – sie zu verstehen? Sicherlich nicht viele, doch wir schon. Im Bereich der experimentellen Medizin ist es für uns nicht nur sehr wichtig, über Kryonik auf dem Laufenden zu bleiben, sondern auch über viele andere Themen, die mit dem zu tun haben, was wir erreichen wollen: die Möglichkeit für jeden Menschen, selbst entscheiden zu können, wie lange er leben möchte. Wenn auch du dich für die neuesten wissenschaftlichen Artikel zum Thema Kryokonservierung interessierst, sieh dir doch einfach mal unseren Überblick an!
Wo befindet sich die aktuelle Entwicklung der Kryokonservierung?
Dazu beginnen wir am besten ganz am Anfang. Der Begriff „Kryokonservierung“ bezieht sich auf den Lagerungsprozess von biologischem Material bei niedrigen Temperaturen. Zellen, Gewebe, Embryonen, Sperma, Organe und ganze Organismen können kryokonserviert werden –und Unternehmen für Biostasis (auch Kryonik genannt) bieten eine Dienstleistung zur Kryokonservierung von Menschen an. Da der Mensch aus Zellen, Geweben, Embryonen (oder Sperma) und Organen besteht, können jegliche Entdeckungen zu einem dieser Elemente den gesamten Bereich der Biostasis beeinflussen. Ebenso können bahnbrechende Ergebnisse auf dem Gebiet der Kryokonservierung von Menschen auch die Entwicklungen in anderen verwandten Bereichen fördern. Doch wie weit sind die Forscher bei der Entwicklung von Kryokonservierungs- und Wiedererwärmungstechniken bisher gekommen?
Der Winter kommt: Die Zukunft der Kryokonservierung
Wenn du einen Überblick mit allen aktuellen Anwendungen und Perspektiven zum Thema Kryokonservierung suchst, ist "Winter is coming: the future of cryopreservation" der richtige Artikel für dich. Das im April 2021 von Bojic, S., Murray, A., Bentley, B.L. et al. veröffentlichte Werk ist perfekt, um Kryokonservierung als "interdisziplinäres Unterfangen zwischen Medizin, Biologie, Bioinformatik, Chemie und Physik [1]" zu verstehen.
Kryokonservierung ist im Grunde noch ein relativ unbekannter Nischenbereich, da auch erst vor etwa 70 Jahren das Fachgebiet Kryobiologie entstanden ist. Seitdem wurden jedoch schon bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Damals konnten Forscher nur Spermien einfrieren, die im Durchschnitt etwa 50 Mikrometer groß waren (5/100.000 eines Meters), doch heute können wir mit komplexen Mehrkomponenten sogar Gewebe, kleine Organe und ganze Organismen konservieren, die so komplex sind wie der Mensch.
Aber warum genau brauchen wir Kryokonservierung und wozu ist sie gut?
- Eine Organ- und Gewebekonservierung könnte das Transplantationen erleichtern und das Problem an mangelnden Organspendern lösen, da durch eine Konservierung die Einrichtung einer Organbank möglich wäre. Der Bedarf an einer solchen Lösung ist sehr hoch, da alleine im Jahr 2010 nur 10 % des weltweiten Bedarfs an Organen gedeckt werden konnte.
- Fruchtbarkeitskonservierung (Eizellen, Spermien oder reproduktives Gewebe) ist ein Bereich, der exponentiell gewachsen ist – und das mit großartigen Ergebnissen. Seit der ersten Geburt einer In-vitro-Fertilisation (IVF) im Jahr 1978 wurden mindestens 8 Millionen Babys mit Hilfe einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung gezeugt.
- Medikamentenerforschung, sowie deren Entwicklung und Erprobung könnte von einer hohen Verfügbarkeit an kryokonserviertem Gewebe und Zellen profitieren. Für die pharmakologisch-toxikologische Forschung könnten z. B. Gewebeschnitte von menschlichem Organmaterial verwendet werden, um effektivere Ergebnisse zu erzielen und den Einsatz von Versuchstieren zu verringern.
- Stammzellen sind vielversprechende Ressourcen für die Zelltherapie und regenerative Medizin. Doch auch diese kommerziellen und klinischen Anwendungen hängen von einer Kryokonservierung ab – der einzigen Möglichkeit der Langzeitlagerung.
- Eine Kryokonservierung von Menschen könnte auch den Bereich der Notfallmedizin völlig revolutionieren. Aktuell steckt der Einsatz von sehr niedrigen Temperaturen zur Lebensrettung noch in den Kinderschuhen, doch mittlerweile haben sich moderate Unterkühlungen zu einer gängigen Praxis entwickelt, um in Notfallsituationen entscheidende Zeit zu gewinnen. Tiefenhypothermie und Vitrifizierung sind dagegen weniger verbreitet, aber auch sehr vielversprechend.
Dieser Artikel umfasst technische, aber nicht zu komplexe Erklärungen zu grundlegenden Themenpunkten wie Einfrieren und Vitrifizieren, die verschiedenen Gefrierschutzmittel einschließlich deren Toxizität sowie Auftauen und Erwärmen. Das Fazit ist dabei sehr vielversprechend: Vor uns liegen noch viele Möglichkeiten – angefangen von kurzfristigen Verbesserungen in der Transplantationsbiologie bis hin zu Ambitionen, die früher vielleicht nur als Science-Fiction galten, wie der Aufbau von Organbanken oder der Langzeit-Scheintod.
Neue Ansätze für Kryokonservierung von Zellen, Geweben und Organen
Wenn du dich für Kryonik interessierst, hast du wahrscheinlich schon einiges über die im ersten Artikel besprochenen Themen gehört. Dieser zweite Artikel beschreibt nun eine Vielzahl neuer Ansätze und Methoden für eine Konservierung bei niedrigen Temperaturen sowie dessen Erwärmung. Er trägt den Titel "New approaches to cryopreservation of cells, tissues and organs" und wurde im Juni 2019 von Taylor MJ, Weegman BP, Baicu SC, Giwa SE veröffentlicht.
Der Zweck der Studie ist klar. Die Entwicklung einer Versorgungskette für Organe und Gewebe, die den Anforderungen der Gesundheitsversorgung im 21. Jahrhundert gerecht wird. Dazu müssen jedoch zwei Hürden überwunden werden: Erstens müssen diese lebensrettenden Ressourcen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und zweitens müssen sie für verschiedene Anwendungen gelagert und transportiert werden können[2].
Konzentrieren wir uns hier auf die zweite Herausforderung. Mit den heutigen Technologien müssen etwa 60 % aller gespendeten Herzen und Lungen entsorgt werden. Das liegt daran, dass die bedürftige Person oft mehrere Stunden entfernt ist (zu lange für das Überleben des Gewebes außerhalb des Körpers). Um dieses Problem zu lösen, werden neue Möglichkeiten zur Konservierung von Geweben und Organen erforscht. Aktuell kann durch Temperaturen, die einige Grad über dem Gefrierpunkt liegen, eine kurzfristige Konservierung erreicht werden. Da sich dabei kein Eis bildet, ist das anschließende Auftauverfahren in den meisten Fällen recht einfach. Allerdings muss das biologische Material über einen längeren Zeitraum gelagert werden können, wozu niedrigere Temperaturen erforderlich sind. Doch bei niedrigeren Temperaturen stellt sich wiederum das Problem der Eisbildung (welches das Gewebe schädigt). Um diese Eisbildung zu vermeiden und die Qualität der Kryokonservierung zu verbessern, verwenden Forscher eine Gefrierschutzlösung, die einen Prozess namens Vitrifizierung einleitet. Diese Lösungen sind aufgrund ihrer Toxizität während des Auftauens jedoch problematisch, wofür die Medizintechnik zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Lösung gefunden hat.
Werfen wir nun einen Blick auf die verschiedenen Ansätze, die im Artikel vorgestellt werden.
- Unterkühlung. In der Natur können viele Tierarten wochenlang Körpertemperaturen unter dem Gefrierpunkt aushalten, indem sie unterkühlen bzw. überwintern und damit eine Eisbildung vermeiden. In menschlichen Organen könnte eine solche Unterkühlung durch niedermolekulare Gefrierschutzmittel und synthetische Eisblocker künstlich herbeigeführt werden.
- Kontrolliertes, teilweises Einfrieren. Es gibt mindestens 45 Tiere, die selbst bei hohen Minusgraden über einen langen Zeitraum in einem Zustand der Biostase überleben können. Forscher untersuchen derzeit niedermolekulare CPAs, die helfen könnten, diese Fähigkeit beim Menschen zu reproduzieren.
- Nanoerwärmung. Um eine schnelle und gleichmäßige Erwärmung nach der Kryokonservierung zu erreichen, könnte der Einsatz von Wärmeübertragungsmethoden das Gewebe von innen heraus erwärmen, anstatt nur durch eine Oberflächenleitung. Die Nanowärmetechnologie könnte dies mit biokompatiblen magnetischen Nanopartikeln erreichen, die dann zusammen mit einer Vertrifizierungslösung zugeführt werden. Hochfrequenzfelder könnten diese Nanopartikel dann stimulieren und eine schnelle und gleichmäßige Erwärmung bewirken.
Vitrifizierung und Nanowärmebehandlung von Nieren
Werfen wir nun einen Blick auf die Bedeutung von Nanowärme als Mittel zum Auftauen und zur künftigen Wiederbelebung, um zu sehen, wie weit die Forschung auf diesem Gebiet bereits gekommen ist. Der Artikel "Vitrifikation und Nanowärmebehandlung von Nieren" zeigt ein erfolgreiches Experiment der Nanowärmebehandlung an einer Rattenniere. Die im August 2021 von Sharma A, Rao JS, Han Z et al. veröffentlichte Arbeit legt nahe, dass diese Methode für eine Transplantation sehr vielversprechend ist.
Während des Experiments haben die Forscher Rattennieren mit einem Gefrierschutzcocktail (CPA) und Siliziumdioxid-beschichteten Eisenoxid-Nanopartikeln (sIONPs) perfundiert. Nach dem Abkühlen der Nieren auf -40 °C überprüften sie dann die Verbreitung der sIONPs und den vitrifizierten Zustand der Nieren mit Hilfe einer Mikrocomputertomographie (µCT). Hier konnte festgestellt werden, dass die Lösungen korrekt perfundiert worden waren und die Nanopartikel durch Anlegen eines Hochfrequenzfeldes angeregt werden konnten, sodass die vitrifizierten Nieren erfolgreich nanoerwärmt wurden: Die Modellierung zeigt, dass während des Vorgangs keine Eiskristalle und auch keine Rissbildung entstanden ist. Zudem zeigte das Experiment eine überwiegende Erhaltung der vaskulären Integrität (Durchflussrate, niedriger Druck und geringer Widerstand) – dies sind wichtige Indikatoren zur Bestimmung der Organqualität in der aktuellen klinischen Praxis. Auf der anderen Seite konnten die Forscher jedoch auch Schäden feststellen, die durch die Toxizität der verwendeten Gefrierschutzlösungen verursacht wurden. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, müssen weniger toxische und stabilere Vitrifikationslösungen entwickelt werden.
Der Artikel kommt zu folgendem Schluss: Eine Kombination der hier berichteten Studien mit der sich ständig weiterentwickelnden Perfusions- und Kryoprotektionstechnologie verspricht eine erfolgreiche Kryokonservierung von Organen in absehbarer Zukunft, mit möglicherweise revolutionären Auswirkungen auf die Zukunft der Organtransplantation [3].
Kryokonservierung eines menschlichen Gehirns und sein experimentelles Korrelat bei Ratten
Der letzte Artikel, den wir wärmstens empfehlen können, befasst sich mit der Frage, wie erfolgreich die derzeitigen Kryokonservierungsverfahren bzgl. der Lagerung des Gehirns und Erinnerungen eines Lebewesens sind. Der im Dezember 2020 von Canatelli-Mallat M, Lascaray F, Entraigues-Abramson M, et al. veröffentlichte Artikel "Cryopreservation of a human brain and its experimental correlate in rats" zeigt spannende Ergebnisse.
Laut diesem Artikel hat sich die Vorstellung einer Kryokonservierung von Menschen, das einst als „ein unrealistisches oder sogar utopisches Unterfangen galt, in den letzten Jahren zunehmend geändert [4]“. Die NASA fördert derzeit zum Beispiel Forschungsprojekte zur Suspensionsanimation. Eine neue Technologie in diesem Bereich wird für interstellare oder sogar interplanetare Reisen als unverzichtbar angesehen – und mit dem nötigen Investitions- und Forschungsaufwand auch machbar.
Diese Studie vergleicht das kryokonservierte Gehirn einer Frau (die ihren Körper der Wissenschaft gespendet hat) mit drei verschiedenen Gruppen von Rattengehirnen, die mit jeweils unterschiedlichen Lösungen kryokonserviert wurden: Eine Gruppe erhielt ein Fixiermittel (Referenzgruppe), eine erhielt eine Vitrifikationslösung VM1 (Kontrollgruppe) und die letzte wurde mit der gleichen Gefrierschutzlösung wie die Patientin (Versuchsgruppe) perfundiert. Nach einer Lagerung bei -80ºC wurden dann alle Gehirne, sowohl der Frau als auch der Ratten, wieder aufgetaut, wobei die Forscher keine histologischen Hinweise auf eine Eisbildung finden konnten. Wenn sich Eis in einem kryokonservierten Gehirn bildet und anschließend schmilzt, hinterlassen die Eiskristalle normalerweise Hohlräume im Gewebe, von denen in diesem Experiment jedoch keine gefunden worden sind. Außerdem verglichen die Forscher bestimmte Neuronen – NeuN-Neuronen, hippokampale SYN-Immunfärbung, hippokampale DCX und dopaminerge Neuronen – wobei festgestellt wurde, dass die Gefrierschutzverfahren keine nachteiligen Auswirkungen auf die Dicke des Hippocampus oder der Kortikalis (wichtig für das Gedächtnis) hatten. Allerdings zeigten unreife (DCX-positive) Neuronen des Hippocampus einen ungünstigen Einfluss.
Zitat aus der Diskussion des Artikels: Das vielleicht ermutigendste Ergebnis der vorliegenden Studie ist, dass die Dichte der Synapsen im Hippocampus (SYN-immunreaktiver Bereich) durch keines der Gefrierschutzverfahren beeinträchtigt wurde. Wenn künftige Studien zeigen, dass die Synapsendichte des Gehirns nicht durch Gefrierschutzmaßnahmen beeinträchtigt wird, würde dies darauf hindeuten, dass das Konnektom nach der Vitrifizierung eine akzeptable Integrität beibehält, was uns erwarten ließe, dass kryokonservierte Gehirne einen Großteil der zum Zeitpunkt des Todes im Nervensystem vorhandenen Informationen beibehalten[4].
Fazit
Die heutige Medizintechnik ist noch nicht in der Lage, alle Aspekte im Zusammenhang mit Kryokonservierung zu bewältigen. Dennoch kommen wir einer möglichen Wiederbelebung jeden Tag ein Stück näher. Durch eine Kryokonservierung von Menschen könnten wir in der (vielleicht nicht allzu fernen) Zukunft viele Krankheiten behandeln und Leben retten. Es mag ein langer Weg sein, aber definitiv nicht unerreichbar.
Schließe dich doch unserer Kryonik-Community an und gib auch dir die Chance, dein Leben in der Zukunft zu verlängern. Alternativ kannst du auch einen Gesprächstermin mit uns vereinbaren. Wir beantworten dir gerne alle Fragen rund um das Thema Biostasis.
Referenzen
[1] Bojic S, Murray A, Bentley BL, et al. Winter is coming: the future of cryopreservation. BMC Biol. 2021;19(1):56. Veröffentlicht 2021 Mar 24. doi:10.1186/s12915-021-00976-8
[2] Taylor MJ, Weegman BP, Baicu SC, Giwa SE. New Approaches to Cryopreservation of Cells, Tissues, and Organs. Transfus Med Hemother. 2019;46(3):197-215. doi:10.1159/000499453
[3] Sharma A, Rao JS, Han Z, et al. Vitrification and Nanowarming of Kidneys. Adv Sci (Weinh). 2021;8(19):e2101691. doi:10.1002/advs.202101691
[4] Canatelli-Mallat M, Lascaray F, Entraigues-Abramson M, et al. Cryopreservation of a Human Brain and Its Experimental Correlate in Rats. Rejuvenation Res. 2020;23(6):516-525. doi:10.1089/rej.2019.2245