Biostasis (auch Kryonik genannt) ist ein Bereich, der langsam all seine Möglichkeiten für die Welt offenbart. Unsere wissenschaftliche, technologische und medizinische Forschung schreitet mit einem unglaublichen Tempo voran und ermöglicht uns, Dinge zu erreichen, die wir früher nie für möglich gehalten hätten. Doch was sind die neuesten Erkenntnisse zur Kryokonservierung? Wie weit sind wir noch von der Einrichtung von Banken mit kryokonservierten Organen entfernt? Und was hält uns davon ab, einen Menschen erfolgreich wiederbeleben zu können? Um einige dieser Fragen zu beantworten, führten wir ein Interview mit Roman Bauer einem renommierten Wissenschaftler für Computerbiologie.
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Roman Bauer – Neurowissenschaften, KI, Krebsforschung und Kryokonservierung
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Vielleicht fragst du dich: Was genau macht ein Computerbiologe? Diese Bezeichnung umfasst tatsächlich eine ganze Reihe von Berufen, die von Datenanalysten, Datenkuratoren, Datenbankentwicklern, Statistikern, Mathematikmodellierern, Bioinformatikern bis hin zu Softwareentwicklern reichen... Im Grunde genommen handelt es sich um Wissenschaftler, die bei der Entwicklung von Analysedaten und nützlichen Modellen auf neue Technologien zurückgreifen wollen.
Roman Bauer ist ein gutes Beispiel für so einen interdisziplinären Wissenschaftler. Nach einem Master in Computational Science and Engineering mit Spezialisierung auf theoretische Physik und Robotik promovierte Bauer in Computerbiologie amInstitut für NeuroinformatikEines der Projekte, für die er sehr bekannt ist, ist eine frei zugängliche Softwareplattform namens BioDynaMo, die 2015 in Zusammenarbeit mit der University of Surrey, CERN und mehreren anderen Institutionen entwickelt wurde. Diese Plattform ermöglicht Informatik-Experten und Hobbybastlern, 3D-basierte biologische Simulationen zu erstellen, auszuführen und zu visualisieren.
Neben seinem Interesse an Computerbiologie, maschinellem Lernen und KI sowie Krebsforschung hat Bauer auch einige Zeit lang an mathematischen und computergestĂĽtzten Tools zur Optimierung von Kryokonservierungsprotokollen gearbeitet. Und anhand dieses Fachwissens haben wir beschlossen, ihm ein paar Fragen zu stellen!
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Wie und wann wurde dein Interesse an Kryokonservierung geweckt?
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Es ist etwa 10 Jahre her, als ich anfing, mich intensiver mit dem Thema Sterblichkeit zu beschäftigen. Das lag vor allem am Tod eines sehr guten Freundes von mir. Bei ihm wurde im Alter von 32 Jahren Krebs diagnostiziert, woran er 2 Jahre später verstarb. Und das, obwohl er eigentlich einen sehr gesunden Lebensstil führte (er hatte nie geraucht, keinen Alkohol getrunken, war sportlich aktiv usw.). In dieser Zeit konnte ich seine Gefühle und die Auswirkungen seiner Krankheit auf seine Familie und Freunde hautnah miterleben. Das hat mich wirklich wachgerüttelt, und ich dachte, wie schön es doch wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, den Sterbeprozess, der so viele körperliche und seelische Schmerzen mit sich bringt, zu unterbrechen.
Mein Interesse an der Wissenschaft für Kryokonservierung entstand zunächst aus reiner Neugierde. Doch erst während meiner postdoktoralen Zeit erkannte ich das Potenzial meiner Berechnungsmethoden für biomedizinische Anwendungen und begann, mich auch mit dem Thema Krebs zu beschäftigen. Dabei erkannte ich, dass meine Methoden auf verschiedene Themen angewandt werden konnten, darunter auch auf Kryokonservierung.
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Wie wird Kryokonservierung derzeit eingesetzt? Und wie könnte sie in Zukunft eingesetzt werden?
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Derzeit wird Kryokonservierung vorwiegend zur Konservierung von Zellen (z. B. Spermien, Stammzellen, Samen) und nicht von Gewebe eingesetzt. Außerdem stützt sie sich hauptsächlich auf experimentelle Techniken und nicht auf Berechnungsmethoden. Es gibt also viel heuristische und experimentelle Forschung. Außerdem klafft noch eine große Lücke zwischen dem, was heutzutage für Zellen und Organe/Individuen erreicht werden kann, sodass ich es sehr spannend finde, daran zu arbeiten, diese Lücke zu schließen.
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Was sind die Herausforderungen bei der Kryokonservierung und warum ist es so schwierig, komplexere Gewebe aufzutauen?
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Die Art der Herausforderung hängt tatsächlich vom jeweiligen Kryokonservierungsverfahren ab. Es gibt zwei bewährte Verfahren: die "Vitrifikation" und die "langsame Kühlung". Die Vitrifikation hat bereits zu zahlreichen Fortschritten geführt und ist derzeit weiter verbreitet als die langsame Kühlung. Sie erfordert jedoch auch ein schnelles Absinken der Temperatur, was für größere Volumen wie Organe nicht in Frage kommt, da sonst sehr hohe Konzentrationen von toxischen Kryo-Gefrierschutzmitteln erforderlich sind. Und diese Toxizität ist bei komplexen Geweben höchst problematisch.
Es gibt jedoch eine vielversprechende Gelegenheit für die Untersuchung von neuen Chemikalien, die weniger toxisch sind. Einige Tiere produzieren nämlich körpereigene Gefrierschutzmittel, mit denen sie sehr niedrige Temperaturen überleben können. Eine Inspiration durch solch natürliche Phänomene ist eine sehr spannende Forschungsrichtung.
Die langsame Kühlung hat, wie der Name schon sagt, hat den Vorteil, dass sie keine schnelle Temperatursenkung erfordert. Daher ist diese Methode im Hinblick auf das Gewebevolumen leichter skalierbar. Das Problem bei der langsamen Abkühlung ist jedoch die Bildung von Eiskristallen im extrazellulären Raum. Diese Eisbildung kann zwar verringert oder gar vermieden werden, doch es sind noch weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Faszinierend, dass Wasser in der Welt so häufig vorkommt, aber trotzdem so kompliziert ist!
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Wie helfen uns KI und maschinelles Lernen bei der Lösung dieser Herausforderungen?
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Der Einsatz von Computermodellen und -simulationen nimmt auch im Bereich der Kryrokonservierung zu, da hier ein erhebliches Potenzial besteht. Computergestützte/Bioinformatik-Methoden haben auch schon viele andere biomedizinische Bereiche wie Genomik oder Neurowissenschaften revolutioniert. In meinem neuesten Forschungsprojekt, das vom Engineering and Physical Sciences Research Council(EPSRC) in Großbritannien finanziert wird, gehen wir genau auf diese Möglichkeit ein. Aktuell sind wir dabei, unsere Ergebnisse zu dokumentieren, die bestätigen, dass durch die Anwendung von ML-Techniken jede Menge gewonnen werden kann. In diesem Sinne können wir sogar ein „virtuelles Testfeld“ schaffen, um die zu erwartenden Veränderungen an den Zellen rechnerisch simulieren zu können, und wir können ausgefeilte Optimierungsmethoden einsetzen, um bessere Protokollparameter zu bestimmen. Ich beschreibe diese Arbeit auch auf meiner persönlichen Website www.romanbauer.net.
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Wie weit sind wir deiner Meinung und deines Wissens nach davon entfernt, dass es uns endlich gelingt?
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Wenn ihr mit „Erfolg“ Kryokonservierung menschlicher Organe meint: Das ist sehr schwer zu sagen, denn die Wissenschaft macht keine vorhersehbaren Fortschritte. Wie Einstein bekanntlich sagte: „Wenn wir wüssten, was wir tun, würden wir es nicht Forschung nennen. Oder doch?“ Aber ich weiß, dass wir derzeit nur an der Oberfläche kratzen und das Gebiet insgesamt an Dynamik gewinnen muss. Mir ist zum Beispiel kein Universitätsprogramm bekannt, in dem es ein spezielles Modul zur Kryokonservierung gibt. Stattdessen wird Kryokonservierung eher als eine Reihe von Protokollen verstanden, die bei Bedarf als Dienstleistung für Forschungsgruppen eingesetzt werden. Wenn Kryokonservierung jedoch als akademisches Forschungsgebiet und als Thema für die Ausbildung von Studenten mehr Anerkennung fände, wäre das ein großer Schritt nach vorn.
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Apropos Kryokonservierung von Menschen: Wann und wie bist du zum ersten Mal mit diesem Thema in BerĂĽhrung gekommen?
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Ich glaube, dass es eine Geschichte oder ein Film war (wahrscheinlich das klassische Märchen "Dornröschen" oder der Film "Forever Young" mit Mel Gibson), als ich zum ersten Mal mit der Idee in Berührung kam, einen Menschen zu konservieren. Damals war ich noch sehr jung und habe mir nichts weiter dabei gedacht. Aber die Idee an sich blieb irgendwie in meinem Hinterkopf und verstärkte sich, als ich "The Prospect of Immortality" von Robert Ettinger gelesen habe.
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Welche Folgen sind mit dem Erfolg des Auftauens und der Wiederbelebung verbunden?
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Seit der Erfindung des Rads wäre das vermutlich die größte Errungenschaft der Menschheit. Patienten mit Krebs im Endstadium oder schweren degenerativen Erkrankungen hätten dann endlich eine Chance, in Zukunft geheilt zu werden, und auch Langstrecken-Raumfahrten und eine Besiedlung anderer Planeten könnten realisierbar werden. Und auch die Notfallmedizin würde revolutioniert werden. Die positiven Folgen sind also durchaus beachtlich.
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Wie könnte eine Kryokonservierung von Organen und Menschen unsere Gesellschaft verbessern?
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Beide Arten der Kryokonservierung wären von immensem Wert. Die Studie von Giwa et al. (Nature Biotechnology, 2017) behauptet, dass die Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl von Organen theoretisch > 30% aller Todesfälle verhindern könnte. Die gesunde Lebensspanne des Durchschnittsmenschen würde sich deutlich verbessern.
Ich denke, eine Kryokonservierung von Menschen würde auch die Gesellschaft verbessern, weil sie zum langfristigen Denken anregt. Alleine zu wissen, dass unser Leben realistischerweise viel länger als 80 oder 90 Jahre sein kann, würde viel mehr Überlegungen und Motivation für ein Zusammenleben in einer blühenden Gesellschaft und auf einem gesunden Planeten mit sich bringen.
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Biostasis und Organbanken könnten großartige Tools zur Gleichberechtigung sein. Aber wie können wir sicherstellen, dass wir in die richtige Richtung gehen?
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Kryokonservierung ist derzeit weniger akademisch und wird mit weniger öffentlichen Mitteln gefördert als viele andere wissenschaftliche Bereiche. Dies ist mir vor allem deshalb aufgefallen, weil ich in der Computer-Neurowissenschaft tätig bin, wo es schon lange frei verfügbarer Datensätze und Werkzeuge gibt. Bei der Kryokonservierung spielen jedoch auch kommerzielle Interessen und rechtliche Beschränkungen eine große Rolle, wodurch viele geistige Eigentumsrechte geschützt oder lizenziert sind, was die Zusammenarbeit und die Demokratisierung der Forschung erschwert. Deshalb denke ich, dass wir mehr Forschungsgelder brauchen, bei denen es eine Voraussetzung ist, Ergebnisse frei zugänglich zu machen, um eine internationale Zusammenarbeit zu ermöglichen.
Genau aus diesem Grund habe ich auch BioDynaMo mit ins Leben gerufen, in der wir eine Open-Source-Software zur Modellierung biologischer Systeme, einschließlich der Kryokonservierung von Zellen und Geweben, entwickelt haben. Heute sind wir ein Zusammenschluss von 9 Institutionen aus 6 verschiedenen Ländern und wir sind fest dazu entschlossen, unsere Ergebnisse, Ressourcen und Fähigkeiten für die gesamte Forschungsgemeinschaft zugänglich zu machen. Außerdem halten wir auch regelmäßige Treffen, an denen alle Interessierten teilnehmen können. Da wäre es natürlich großartig, wenn wir noch mehr mit Kryokonservierungsforschern zusammenarbeiten und eine Plattform für den Austausch von Daten und Protokollen schaffen könnten.
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Wenn Sie andere zum Nachdenken anregen könnten, worüber wäre das?
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Kryokonservierung ist ein relativ neues und kleines Gebiet, das viel Potenzial hat. Man muss kein Forscher oder Milliardär sein, um einen Beitrag zu leisten, und man muss sich auch nicht Vollzeit engagieren. Wenn man gewillt ist, sich zu beteiligen, kann man schon viel bewirken. Wenn du dich also für dieses Thema interessierst, rate ich dir, dir genau zu überlegen, welcher Weg am besten zu deiner Einstellung und deinen Leidenschaften passt und was dich wirklich antreibt.
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Roman Bauer bei Biostasis2021
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Auf der Biostasis2021-Konferenz hatten wir das Vergnügen, Roman Bauer persönlich kennenzulernen und seinen Vortrag über "Die Zukunft der Kryokonservierung" zu hören: Computergestützte Ansätze und Automatisierung". Sieh dir die Rede doch selbst einmal in voller Länge an, wenn du mehr über sein Projekt BioDynaMo und seine Bemühungen zur Entwicklung eines computergestützten Ansatzes für Kryokonservierung erfahren möchtest.
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Fazit
Die Kryonik-Community besteht aus verschiedenen Personen, die ihr Wissen fĂĽr den Fortschritt dieser Wissenschaft einsetzen. Darum erwarten wir bei Tomorrow Biostasis auch tolle Ergebnisse!
Wenn auch du die technologischen Entwicklungen der nächsten Jahre (wenn nicht Jahrhunderte) miterleben möchtest, kannst du dich hier anmelden und den Sprung deines Lebens wagen. Und falls du noch Fragen hast, kannst du gerne einen Anruf vereinbarenund mit einem unserer Teammitglieder sprechen.
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